Es war Mitte Mai 1978, als Saab das neue Flaggschiff 900 ankündigte. Positioniert war die drei- und fünftürige Kombi-Limousine oberhalb des Typs 99, aber eigentlich sollte der neue Typ 900 den alten Typ 99 mittelfristig ablösen. Die Differenzen zwischen den beiden Typen hielten sich sowieso in Grenzen, eine komplette Neuentwicklung konnte Saab sich zu jener Zeit nicht leisten, die Märkte riefen aber nach einem moderneren und sichereren Auto.
Der Saab 900 kam mit einem gegenüber dem Saab 99 um fünf Zentimeter verlängerten Radstand, aber mit einer um 23 Zentimeter verlängerten Karosserie daher. Gewichtsmässig legte der Saab 900 um rund 120 kg zu, obschon Saab ursprünglich behauptete, das Gewicht sei gleichgeblieben. Die Verlängerung erlaubte es, zusammen mit neuen Stossfängern die amerikanischen Aufprallvorschriften zu erfüllen und gleichzeitig etwas mehr Platz für die Passagiere vorzusehen. Die Modifikationen am Styling stammten von Björn Envall. Er hatte bei seinen Anpassungen ein glückliches Händchen, denn der Saab 900 wirkte tatsächlich um einiges frischer als sein Vorgänger und er hat auch die Jahrzehnte danach bis heute gut überstanden.
m Innern gab es ein neu gezeichnetes (geschäumtes) Armaturenbrett mit allen Anzeigen im direkten Blickfeld des Fahrers. Die Heizungs- und Frischluftanlage war modernisiert worden und agierte geschwindigkeitsunabhängig. Zudem sorgte ein neuer Filter dafür, dass Pollen draussen blieben. Auch in der Elektrik gab es Innovationen, sämtliche Armaturen und Schalter im Innern waren über gedruckte Schaltungen mit einer zentralen Verzweigungsdose mit dem Motorraum verbunden. Die teureren Ausführungen GLE und Turbo waren serienmässig mit einer Servolenkung ausgestattet.
Fahrwerkstechnisch blieb man dem Vorgänger mit vorderen Trapez-Dreieckslenkern und Querlenkern, sowie hinterer Starrachse mit Längslenkern und Panhardstab treu. Scheibenbremsen rundum war selbstverständlich.
Von Anfang an gab es den Saab 900, der ab Oktober 1978 in Serie gebaut wurde, mit einer breiten Motorenpalette, die aus Vierzylindern mit Vergasern oder Einspritzung bestand. Das Spitzenmodell nutzte die Turbo-Version, die bereits 1977 mit dem Saab 99 eingeführt worden war.
Damals war Saab ein Pionier, denn bei der Konkurrenz gab es Turbomotoren höchstens für Spezialserien oder sehr sportliche Modelle. Bei Saab aber musste der Turbo-Vierzylinder den fehlenden Sechszylinder ersetzen.
145 PS leistete der erste Zweiliter-Turbo-Motor von Saab bei 5000 Umdrehungen, 235 Nm wuchtete das Aggregat bereits bei 3000 Umdrehungen auf die Kurbelwelle. Damit waren mit dem Saab 99 Turbo Beschleunigungszeiten von unter zehn Sekunden für den Spurt von 0 bis 100 km/h möglich und auch die Höchstgeschwindigkeit von fast 190 km/h war nicht von schlechten Eltern.
Der Saab 900 ging kaum schlechter. Exakt 10 Sekunden benötigte die Automobil Revue, um aus dem Stand Tempo 100 km/h zu erreichen. 194 km/h Spitze zeigten, dass der Typ 900 noch etwas aerodynamischer geraten war als sein Vorgänger.
“Als geräumiger, nicht auf extremen Leichtbau ausgerichteter Zweiliter ist der Saab 900 turbo ein überaus leistungsfähiger Reisewagen von eigener Note. Seine Besonderheiten: für die Hubraumgrösse aussergewöhnliche Fahrleistungen, gutes Raumangebot für vier bis fünf Personen, grosses und verwandelbares Heckabteil, bescheidener Verbrauch bei nicht zu scharfer Fahrweise. Der an sich hohe Preis von 29’100 Franken wird durch die sichtbare Beachtung der Solidität, den Mut zum Akzent auf Sicherheit und die ungewöhnlich reichhaltige Ausstattung relativiert. Und schliesslich fordern auch bescheiden Stückzahlen und die entsprechende Exklusivität ihren Zoll”, fasst die Automobil Revue 1979 ihre Testeindrücke zusammen.
Tatsächlich war die Ausstattung fast komplett, nur gerade für eine Klimaanlage mussten 2100 Franken zugezahlt werden, auch die TRX-Reifen der Dimension 180/65 HR 390 auf Leichtmetallfelgen gehörten zur Serienausstattung.
Trotzdem überstieg der Preis das Angebot der Konkurrenz deutlich, ein Audi 100 Avant GL 5E kostete nur CHF 22’230, ein Rover 3500 CHF 27’950 und ein Renault 30 TX V6 CHF 22’450.
Das Thema Benzinkonsum war damals Ansichtssache, vom “bescheidenen Verbrauch” wollte Wolfgang König nach seinem Test für Auto Motor und Sport im Jahr 1979 jedenfalls nichts wissen, für ihn waren die gemessenen 15,5 Liter Super im Testbetrieb schlicht zu hoch. Und auch in Deutschland gab es attraktive Konkurrenten zu ähnlichen oder tieferen Preisen, ein BMW 528i kostete DM 28’450, ein Mercedes-Benz 280 E DM 30’016, während der Saab als Viertürer mit DM 29’950 in der Preisliste stand.
Der Saab 900 Turbo machte seinen Weg trotzdem oder gerade wegen seiner Andersartigkeit. Dies erkannte auch Götz Leyrer nach einem Vergleichstest als er schrieb: “Daß der Schwede keine Schönheit ist, scheint seinen Käufern gerade recht zu sein – sie genießen dafür die kultivierte Kraft des Turbomotors, die guten Fahreigenschaften und nicht zuletzt die überdurchschnittlich solide Verarbeitung”.
Natürlich entwickelten die Schweden ihr Topmodell stetig weiter. Auf dem Genfer Autosalon 1979 stand ein 210 km/h schneller Super Turbo mit Wassereinspritzung direkt ins Saugrohr. Es blieb bei der Studie, aber andere Verbesserungen machten den Saab immer besser und schöner.
Neue Sitze gab es bereits 1980, neue Rückleuchten dazu. Mit APC (Automatic Performance Control) passte sich der Motor automatisch der verfügbaren Benzinqualität an.
Ab 1984 gab es asbestfreie Bremsbeläge und im selben Jahr feierte auch der Saab 900 Aero (teilweise auch Saab 900 16 S genannt) seine Premiere. Als Aero verfügte der Saab-Dreitürer über ein aerodynamisch optimiertes Kleid, vor allem aber über den neuen 175 PS starken Turbomotor mit 16 Ventilen, zwei obenliegenden Nockenwellen und wassergekühltem Turbolader.
Der 16 S kostete in der Schweiz 36’400 Franken und lief 215 km/h im Test. Die Beschleunigung von 0 auf 100 km/h schaffte der Testwagen in 9,4 Sekunden, als Gesamttestverbrauch mass die Automobil Revue 12,6 Liter pro 100 km (Extremwert 14,7 Liter).
“Mit dem Saab 900 Turbo 16 S hat die schwedische Marke ihre bisherige Tradition fortgesetzt, Fahrzeuge mit hohem technischen Standard, grossen Sicherheitsreserven und eigener Note zu produzieren. Der 16 S bietet zusätzlich noch äusserst sportliche Fahrleistungen und ein nicht alltägliches Äusseres. Gemessen an den relativ kleinen Stückzahlen, dem hohen technischen Auf- wand und der Ausstattung erhält der Liebhaber für den Kaufpreis einen reellen Gegenwert”, notierte die AR nach ihrem Test im Sommer 1984.
Den neuen Motor gab es aber nicht nur in Verbindung mit dem auffälligen Äusseren des Aero/16 S, sondern auch für die übrigen Modelle.
Auto Motor und Sport beschleunigte einen “normalen” 16-Ventil-Turbo in nur 8,7 Sekunden aus dem Stand bis 100 km/h und verbrauchte dabei im Testschnitt 15,9 Sekunden, was einmal mehr zeigt, dass bei ständiger Leistungsausnutzung, die auf deutschen Autobahnen möglich ist, eben deutlich höhere Testverbräuche entstehen können.
DM 42’900 kostete der Saab Turbo 1984 in Deutschland, BMW 528i und Mercedes-Benz 280E waren mittlerweile deutlich günstiger und kaum langsamer, sicherlich aber nicht so komplett ausgestattet.
Mit dem 16-Ventil-Turbo war die Evolution des Saab 900 noch lange nicht abgeschlossen, 1988 verschwanden Vergaser-, 1989 die 8V-Turbo-Aggregate. Dafür kam mit dem “Light Pressure Turbo” (LPT) eine neue Variante mit weniger Leistung und Verzicht auf APC und Ladeluftkühler auf den Markt. Rund 140 PS leistete der laufruhige Motor und er verbrauchte auch weniger als seine Vorgänger. Bis 1993 wurde die Saab 900 Limousine gebaut, insgesamt waren es schliesslich 908’810 Exemplare, inklusive der 44’888 Cabriolets, die an anderer Stelle beschrieben sind. Nicht schlecht für eine Notlösung, die immerhin 15 Jahre Bestand hatte.
Dass sich der Saab 900 Turbo nicht nach gewohnten Massstäben messen lässt, spürt man schon kurz nach dem Platznehmen hinter dem Lenkrad, nämlich dann, wenn man das Zündschloss sucht. Dieses findet sich weder links noch recht vom Lenkrad, sondern in der Wagenmitte hinter dem Schalthebel. Ansonsten verlangt das Fahren im Saab kaum nach einem Studium der Betriebsanleitung, schliesslich ist alles logisch angeordnet und beschriftet.Die Karosserie zeigt sich übersichtlich, die Sitze sind bequem. An Gepäckraum mangelt es nicht, 400 Liter sind es nominal, aber durch Herunterklappen der hinteren Sitzlehnen dürfen es auch 1500 Liter sein, praktisch durch die grosse Heckklappe beladbar.
Der Vierzylinder-Motor hat Biss, wenn auch die Verzögerung der Leistungsentfaltung, wie sie damals bei Turbomotoren üblich war, gerade für moderne Automobilisten etwas überraschend ist. Auch die 273 Nm Drehmoment reissen einen nicht vom Hocker, aber langsam ist man deswegen sicherlich nicht, im Gegenteil. Der charakteristische, aber schwer zu beschreibende (daher Tonmuster anhören!) Saab-Turbo-Sound gehört natürlich dazu.
Dank Servolenkung gerät die Fahrerei nicht zur schweisstreibenden Arbeit und die hervorragend verzögernden Scheibenbremsen sorgen dafür, dass auch die Handflächen trocken bleiben. Überhaupt versteht man gut, dass Saab-Fahrer gerne auch längere Strecken unter die Räder nahmen und nehmen. Selbst 40 Jahre später würde man dem Saab 900 16 V die Fahrt von Zürich nach Trollhättan (von da kamen die Saab-Autos) jederzeit zutrauen.